Analyse: Mercedes-Benz weitet Online-Sales auf Kernmarkt aus

Mercedes-Benz Online Store seit August 2016 live (Website Daimler)

Mercedes-Benz Online Store seit August 2016 live (Website Daimler)

Ab sofort können Endkunden im Mercedes-Benz Online Store deutschlandweit kaufen. Nach regional beschränkten Online-Sales weitet Daimler das Programm auf den Kernmarkt Deutschland aus. Wie weit sind andere Hersteller? Ist das „Online-Sales“ wie Kunden ihn erwarten? Welche Verbesserungspotentiale gibt es?

Einordnung von Online-Sales in die Digitalen Transformation Automobile

Zur Orientierung: Richtet man die Inhalte der Digitalen Transformation im Automotive-Bereich an der Wertschöpfungskette aus, ergeben sich diese sechs aufeinanderfolgende Segmente:

  1. Design (Konzeption, Produktdesign, Entwicklung)
  2. Source (Bestimmung Fertigungstiefe, Partnering, Einkauf)
  3. Produce (Produktion)
  4. Move & Store (Logistik, Distribution)
  5. Market & Sell (Marketing, Kommunikation, Vertrieb, Retail)
  6. Service & After Sales (Service, Financial Service, After Sales, CRM)

Die Umstellung vom traditionellen Verkauf beim stationären Händler hin zum Online-Sales – Gegenstand dieser Marketing-Maßnahme von Daimler – ist den Segmenten „5. Market & Sell“ und teilweise auch „6. Service & Return“ zuzuordnen.

Kurzprofil Online-Verkauf Mercedes-Benz PKW

Die Fakten im Überblick:

  • Die deutsche Premium-Marke Mercedes-Benz bietet auf einem separaten Portal fertig produzierte Fahrzeuge online zum Verkauf an.
  • Der Konfigurator, das Herzstück des Digitalen Automotive Marketings, ist nicht eingebunden. (Macht beim Verkauf von vorproduzierten Fahrzeugen ja auch keinen Sinn.)
  • In Design und Navigation orientiert sich das Verkaufsportal am Auftritt der Markenportale auf Desktop, Smartphone und iPad. Es ist responsiv ausgelegt.
  • Onsite SEO-Optimierung scheint ein Kapitel im Lasten-/Pflichtenheft für die Implementierung gewesen zu sein.
  • Die Fahrzeuge sind innerhalb von 14 Tagen lieferbar (Na klar, sie sind ja schon fertig produziert.).
  • Die Auslieferung der Fahrzeuge ist kostenfrei (Ein Benefit für den Online-Kauf?).
  • Nach gängigem Multi Channel-Ansatz bietet Daimler den Endkunden fünf Kanäle zur Kommunikation beim Kauf an: Telefon, persönliche Beratung vor Ort, Live-Chat, E-Mail und das Portal an sich.
Mercedes-Benz Online-Store Kommunikationskanäle (Website Daimler)

Mercedes-Benz Online-Store Kommunikationskanäle (Website Daimler)

  • Das separate Portal ist über eine 3rd-Level-Domain unter www.online-store.mercedes-benz.de erreichbar.
  • Es ist nicht nahtlos in die Markenportale integriert. Eine direkte und deutlich wahrnehmbare Verbindung zwischen den Markenportalen auf Desktop, Smartphone und iPad und dem Online-Shop ist nicht zu finden – weder als Navigationspunkt, Link noch als Teaser. (Würde dem Reichweitenaufbau aber gut tun.)
  • Ebenfalls ist es nicht nahtlos in die Händlerportale integriert. (Würde dem Reichweitenaufbau auch gut tun.)

Offizielle Kommunikation von Daimler zu der Vertriebsmaßnahme

Ola Källenius – Vorstandsmitglied der Daimler AG und verantwortlich für Mercedes-Benz PKW Vertrieb – sieht die Maßnahme als Reaktion auf das sich verändernde Kundenverhalten beim Autokauf. Kunden würden zunehmend detailliertere, digitale Informationen und Interaktionsmöglichkeiten erwarten. Mit dem deutschlandweiten Online-Store bewege sich Mercedes-Benz PKW einen Schritt weiter in Richtig „Sales of the Future“.

Daimler gibt an, eng mit den stationären Händlern zusammen zu arbeiten. Ola Källenius: „Unsere eigenen Sales-and-Service Center und autorisierten Händler profitieren direkt vom Online-Verkauf durch direkten Kontakt mit interessanten Kunden“

Analyse Online-Sales Mercedes-Benz: Potentiale

1. Grundansatz – Kommt der Hund zum Knochen oder umgekehrt?
Der Grundansatz von www.online-store.mercedes-benz.de folgt dem bekannten und bewährten Muster der Portalkommunikation:

  1. Portal aufbauen
  2. Reichweite (Traffic) aufbauen
  3. Conversion-Rate optimieren

Dieses Konzept möchte ich in Frage stellen: Hauptargument dafür sind die explodierenden Kosten der Anbieter, um 1 Minute Online-Zeit/Attention für das Portal bei der Zielgruppe zu ergattern. Unzählige Anbieter, Sites, Spiele und Co stehen in einem sich immer stärker beschleunigendem Wettkampf um die Online-Zeit der potentiellen Kunden. Mit dem Resultat, das die Kosten pro erkämpfte Online-Minute des Kunden exponentiell steigen. Und einen effizienten, qualitativ hochwertigen Reichweitenaufbau mit bekannten Methoden fast unbezahlbar machen. Aus der eigenen Erfahrung in ähnlichen Projekten: Selbst Love-Bands mit exzellentem Content gelingt es immer schwerer ausreichend Reichweite aufzubauen.

Eine Lösung: Über einen Paradigmenwechsel in der Portalkommunikation nachdenken. Abkehr von der egozentrierten Portalkommunikation wie oben beschrieben, hin zu einer kundenzentrierten Kommunikation durch eine Umkehr der Kommunikationsrichtung. Zwei Stichworte dazu: Distributed Content und Distributed Applications. Vielleicht ist es Zeit, den Knochen zum Hund zu bringen, damit er ihn – unter den vielen anderen Knochen – lecker finden kann.

2. Warum nur responsiv?

Das Portal ist responsiv ausgelegt. Die gleichen Inhalte werden also über die drei Kanäle nur grafisch anders aufbereitet ausgeliefert. Desktop, Smartphone und iPad haben aber bekanntlich unterschiedliche Nutzungsfälle aus Sicht der Kunden und technische Möglichkeiten und Restriktionen. Daimler verzichtet auf eine Anpassung des Grundkonzeptes (z.B. Informationsarchitektur, Inhalten und Applikationen) an die kundenspezifischen Erwartungen an die verschiedenen Kanäle und die technischen Möglichkeiten der Geräte. Obwohl Grundlagenstudien, Analytics-Ergebnisse und Know How im Konzern vorhanden sind.

https://youtu.be/4ScUplmtQcw

3. SEO 
Analysiert man die Findbarkeit der Site in Google beim Such-String „mercedes online kaufen“ liegt die Site laut Analyse-Tool auf Platz 1, vor www.autohaus24.de, www.neuwagen-online.info und www.meinauto.de. Good Job. (Quelle: Seolyze)

4. Ladezeit 
Von Standort Frankfurt aus berechnet, hat die Homepage der Site eine Ladezeit zwischen 10 und 17 Sekunden. Im Detail:

  • Die Bestnote A (Vom Notensystem der US-Highschools bekannt.) bekommt die Site für das Ausliefern des ersten Byte und das Aufrechterhalten der Server-Verbindung für das Ausliefern der Inhalte.
  • Für die Übertragung der Kompressionsdaten erhält die Site die Note B.
  • Ein amerikanisches F gibt es für die Kompression der Grafiken und das Cachen (Zwischenspeichern) der Daten von statischen Inhalten.
  • Daimler verzichtet auf den Einsatz eines CDN (Content Distribution Network) für das optimierte Ausliefern der Inhalte über ein zwischengeschaltetes Server-Netzwerk wie z.B. das von Akamai.
Zusammenfassung Webpagetest vom Mercedes-Benz Online Store (Webpagetest)

Zusammenfassung Webpagetest vom Mercedes-Benz Online Store (Webpagetest)

Bei der Ladezeit gibt es also Verbesserungspotential. (Quelle: Webpagetest, Stand 18.08.16)

5. Mobile-Optimierung
Google betrachtet die Site als optimiert für mobile Endgeräte. Good Job. (Quelle: Google)

Online-Verkauf von anderen Automobilherstellern

Die Aktivitäten anderes OEMs an, die sich bisher auf dem Blogomotive-Radar befanden:

Von den betrachteten Herstellern verkauft zur Zeit nur Tesla frei konfigurierbare Fahrzeuge – also Neuwagen nach der engen Interpretation der Endkunden. Das Tesla-Modell könnte man als wirklichen und vollkommenen Online-Sale betrachten.

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Volker Liedtke

Über Volker Liedtke

Volker Liedtke ist Interims-Manager, Berater für Digital Marketing und zertifizierter Scrum Master. Bei Porsche beschleunigte er die Digitale Transformation der Unternehmenskommunikation. Bei Daimler verantwortete er den Aufbau des Mobile Marketing. Bei Audi relaunchte er das globale Markenportal www.audi.de. Bei GM/Opel entwickelte er die Cross Channel Strategie. Als Experte für Automotive Marketing ist er spezialisiert auf Digitale Transformation im Kommunikationsbereich. Mehr...